Erwarten wir zu viel von unseren Kindern? // Kinder unter Druck in der Wettbewerbsgesellschaft

„Sie ist doch erst 2 Jahre alt.“

Auch in meinem Bericht über unser Kindermusical und das Tanzen für Kinder, ging es teilweise genau darum. Was können unsere kleinen Kinder eigentlich schon?

Bzw. was glauben WIR Eltern, was sie können müssen/sollten oder aber was können sie eigentlich wirklich schon, obwohl sie es noch gar nicht müssten?

In unserer Gesellschaft ist es ja heute normal, dass wir uns immer und in jeder Situation messen und mit Anderen vergleichen. Alles ist irgendwie ein Wettkampf und muss, wenn auch unbewusst, bewertet werden.

Das merke ich gerade sehr extrem bei meinen Zwillingen. Auch wenn ich es nicht möchte, ich vergleiche sie, und natürlich sind sie unterschiedlich. Sie sind zwei verschiedene, ganz individuelle Menschen. Gerade jetzt im letzten Kindergartenjahr vor der Schule kommen mir diese Gedanken. Heute gehen wir zur Schuleingangsuntersuchung und da geht es schon wieder los mit dem Gedankenkarussel: Werden beide gut in der Schule sein? Die Lehrerinnen werden sie miteinander vergleichen etc. Ich weiß, dass die beiden verschieden gut in verschiedenen Bereichen sind. Die Eine ist künstlerisch sehr talentiert und kann stundenlag tolle Bilder malen. Die Andere liebt es zu Klettern und mit Bällen zu spielen. Ich finde, das ist auch gut so! Aber ich weiß, dass die Kinder mit diesen Vergleichen teilweise nicht gut zurecht kommen und das tut mir weh, zu sehen. Eine meiner Zwillinge ist Linkshänderin. Die haben es ja heute leider immer noch etwas schwerer als Rechtshänder. Sie braucht eben eine andere Schere als Beispiel. Neulich sagte sie zu mir:“ Mama, ich finde es unfair, dass alle anderen Kinder mit der anderen Hand schneiden!“ Was sage ich meiner Tochter in diesem Moment? Ich bestärke sie darin, dass es noch mehr Leute gibt, die mit der linken Hand schneiden oder Tennis spielen und versuche ihr gute Vorbilder zu nennen wie ihren Opa. Leider fallen mir nicht so viele ein, da früher ja noch umerzogen wurde und es offiziell nur Rechtshänder gab.

Ich finde es schön, dass sich meine Zwillinge so voneinander unterscheiden. Jede ist eine Persönlichkeit für sich, obwohl sie optisch nahezu identisch sind! (Für mich natürlich nicht :-))

Auch bei meiner Kleinsten Tochter mit 2 Jahren macht aber das Thema „Vergleichender Wettbewerb“ kein Halt. Auch hier ist alles ein Wettkampf, so habe ich das Gefühl. Es fängt eigentlich schon alles als Baby an, ob du willst oder nicht!

Du wirst geboren und es geht los. Welches Kind schläft zuerst durch. Welches Kind dreht sich zuerst um, wer isst mehr Brei, wer kann zuerst Laufen, Roller fahren, auf den höchsten Baum klettern und, und, und. So geht es dann einfach ewig weiter. Es gibt dafür kein Stopp und kein zurück.

Unsere Gesellschaft ist in ihrem Wertesystem eben so aufgebaut, dass wir miteinander konkurrieren. Und das ist ja grundsätzlich auch gar nichts Schlechtes. Es spornt natürlich immer an, etwas gut oder besser zu machen. Aber es impliziert unseren Kindern und später auch uns, wenn ich etwas nicht so gut kann, wie jemand anders, dann bin ICH nicht gut genug. Das stimmt aber nicht. Unsere Kinder und auch Wir sind so gut und richtig, wie wir sind. Jeder hat eben andere Stärken und kann auch etwas nicht so gut, das wertet aber den Menschen nicht ab. Leider empfinden aber unsere Kinder das genau so. „Ich bin schlecht“!

Nur manchmal nehme ich mich mal kurz raus und denke mir dann: „Warum erwarte ich immer etwas von meinen Kindern? „Warum liest man in Büchern oder im Internet nach, was ein Kind in welchem Alter können muss?“

Muss das wirklich immer so ein?

Meine 2 Jährige ist als 3. Kind natürlich in ihren Fortschritten viel schneller, als ihre beiden Schwestern es damals waren. Sie hat große Vorbilder und Ziele. Sie konnte alles viel früher, als ihre Schwestern (und ihr seht, ich vergleiche mal wieder unbewusst, auch hier). Sie konnte eher Sprechen, Laufen, Laufrad fahren. Natürlich ist eben dieser Effekt der großen Geschwister immer ein gewisser Anreiz etwas zu lernen. Ein Vorbild kann schon etwas, was ich noch nicht kann? Dann will ich es schnell lernen.

Mit knapp 2 Jahren kam sie aus der Kita und erzählte mir, dass sie jetzt schon keine Windel mehr braucht. Ich war total überrascht damals und auch unendlich stolz auf mein großes Mädchen. Aber es war auch wichtig, dass dieser Schritt von ihr kam und ich sie nicht dazu gezwungen habe. Unterstützen und ermutigen aber nicht zwingen.

Doch manches Mal schimpfe ich dann mit der kleinen Maus, weil doch mal wieder das Pipi in die Hose ging oder vom Essen zu viel auf dem Boden landet oder sie ihre Hose nicht richtig selber anzieht oder, oder.

Ja, ich habe mal wieder einen schlechten Tag und ich denke mir“ Das Kind muss das doch jetzt mal können!“ Ja, muss es das wirklich schon? Mit 2 Jahren? Immer mal wieder vergesse ich, dass sie eben noch keine 3 oder 4 Jahre alt ist, auch wenn sie viele Sachen schon so gut macht, als wäre sie so alt und eben leider, weil sie schon so gut sprechen kann und auch von der Größe einer 3, 5 Jährigen gleicht.

Und was mache ich? Ich bestrafe sie nun dafür, wenn mal etwas „nur“ altersgerecht funktioniert! Das tut mir dann immer so leid und dann bestärke ich sie weiter darin, wenn sie selber zu mir sagt „ich bin ein großes Mädchen!“ Natürlich versteht sie noch nicht, was Mami meint, wenn sie sagt, dass es ihr leid tut, dass sie geschimpft hat. Bei ihr bleibt leider trotzdem ein bisschen davon hängen, dass Mama nicht zufrieden damit war, dass nur das halbe Pipi im Töpchen war und der Rest auf dem Boden. In diesen Momenten verfluche ich mich für diese Denkweise aber ich weiß auch, ich kann es einfach nicht immer abstellen. Wenn mal wieder mein Alltagswahnsinn mit 3 Kindern losbricht, dann komme ich eben ab und zu an meine Grenzen und bin pädagogisch leider unwertvoll.

Meine Notiz an dieser Stelle an mich selber und meine Bitte auch an Euch:

Schaut Euch an, was eure Kinder alles schon können und schaut nicht auf das, was sie vielleicht noch nicht perfekt können. Bestärkt sie in dem, was sie gut machen und unterstützt sie in dem, was noch nicht so gut klappt! Vergleicht eure Kinder nicht und bewertet sie bitte nicht in jeder Situation. Lasst sie sein, wie sie sind, denn jedes Kind ist gut und genau richtig so, wie es ist!

Eure Zwillingsmama Michi

3 Kommentare

  1. Du sprichst mir aus der Seele.
    Ich erwische mich auch immer wieder dabei, vielleicht zu viel von meiner Großen, fast 6, fast ein Schulkind, zu erwarten und entsprechend motzig zu reagieren, wenn es mal nicht rund läuft. Sie ist immer noch KIND und nicht erwachsen!
    Leider wird oft zuerst gemotzt und dann darüber nachgedacht.
    Aber das versuche ich zu ändern…

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