Wie es sich anfühlt, der „jüngere“ Zwilling zu sein // Diese verflixte 1 Minute

Bei Zwillingen sind doch beide gleich alt oder? Oder etwa doch nicht?

Nein eben „etwa nicht“! Es mag für uns Eltern oder auch für Andere manchmal nur eine Minute sein, für das jüngere Zwillingskind kann es manchmal die Welt bedeuten.

Bei einer normalen Geburt liegen ja manchmal sogar mehrere Minuten bis sogar zu zwischen beiden Kindern und bei einem Kaiserschnitt auf jeden Fall mindestens eine Minute. In seltenen Fälle liegen auch Stunden zwischen den beiden Zwillingen aber eines ist sicher:

Einer ist immer DER oder DIE Jüngere!

Warum das jetzt wichtig oder gar „schlimm“ sein soll fragt ihr euch jetzt? Oder ihr seid Zwillingseltern und denkt euch jetzt schon euren Teil zu dem Thema, schmunzelt und sagt euch „oh ja, DAS kenne ich!“

Sätze wie:

„Die Eine ist aber größer, oder!?“

„Wer von den Beiden ist denn jetzt älter?“

hören wir seit fast 6 Jahren nun mehrmals wöchentlich. Die Menschen die fragen, denken sich dabei nichts böses. Warten die Antwort ab und gehen dann weiter. Das Thema ist dann für sie erledigt, für uns aber noch lange nicht.

Am Anfang fand ich es nicht schlimm, nein es hat sogar geholfen, die beiden gut auseinander zu halten. Zumindest für Außenstehende, ich hatte da ja nie Probleme :-)

Solange die Babys dich nicht verstehen oder selber sprechen können, machte das auch nichts aus.

Aber dann plötzlich, wenn der erstgeborene Zwilling zu jeder möglichen Gelegenheit anmerkt, dass er ein bisschen älter und ein bisschen größer ist als der andere Zwilling.

Stolz wird erzählt, dass sie zuerst aus Mamas Bauch gekommen ist. Ja, natürlich hat sie Recht und es gibt keinen Grund, dass sie das nicht erzählen darf. Aber parallel dazu wird ihre Zwillingsschwester immer leiser und zieht sich zurück. Sie weiß, dass sie von Geburt an immer etwas kleiner und leichter war. Sie war es auch, die länger in der Kinderklinik verbracht hat und nach der Geburt dramatisch abgenommen hatte.

Sie fühlt sich plötzlich „anders“. Bisher war immer alles genau so, wie bei ihrer Schwester. Sie haben zusammen Geburtstag, sie haben eine ganz enge Verbindung miteinander. Sie müssen gleichzeitig auf die Toilette, sie suchen sich die gleichen Sachen aus dem Schrank heraus…wäre da nicht diese verflixte 1 Minute, die sie jünger ist als ihre Schwester.

Diese verdammte Minute, die sie jünger ist dieser doofe 1 cm, den sie kleiner, dieses 1 KG, welches sie leichter ist.

Mittlerweile hört sie einfach nur noch weg, wenn Leute auf der Straße sagen: „Oh, sind das Zwillinge? Aber die Eine ist ein bisschen größer oder?“

Unbewusst hat die ältere der Zwillinge etwa seit sie 3 Jahre alt ist und unsere Kleinste ein Baby war, die Rolle der „großen Schwester“ total angenommen.

Sie hat sogar ihrer Zwillingsschwester geholfen Schuhe und Jacke anzuziehen. Das war natürlich praktisch für die jüngere aber hat sie natürlich noch weiter in die Rolle der kleinen Schwester gedrängt. Diese Rolle hat sie dann dankend angenommen und sich immer weiter darauf zurück gezogen.

Wir haben diese Entwicklung beobachtet und bewusst versucht dagegen zu steuern. So einfach ist es aber nicht immer, wenn die Umwelt jeden Tag wieder, wenn auch unbeabsichtigt, in diese Kerbe schlägt.

Die Ältere stand mit 18 Monaten als erste auf und lief einfach los, sie bekam zuerst Zähne und so ging es immer weiter. Immer wieder wurden solche Entwicklungen mit einem „das ist aber gemein!“ von ihrer 1 Minute jüngeren Schwester kommentiert. Aber was sollten wir dagegen machen? Es war einfach so, wie es war und wir mussten gemeinsam mit beiden Kindern dafür einen Weg für uns finden.

Als die Zwillinge in den Kindergarten kamen, wurden sie in getrennte Gruppen aufgeteilt. Ich hatte anfangs sehr große Sorge und die jüngere war auf einmal auf sich ganz allein gestellt. Wie befürchtet hat sie sich dann auch anfangs schwer getan und die Nähe und vielleicht auch die Hilfe der großen Schwester vermisst. Aber jetzt, nach fast 3 Jahren Kindergarten, kann ich sagen, dass das die beste Entscheidung war, die wir getroffen haben. Zum Wohle beider Zwillinge. Beide konnten sich frei entfalten, ohne immer nach dem anderen zu sehen. Für die ältere war es erleichternd, sich nicht immer für die jüngere verantwortlich zu fühlen. Für die Jüngere war es wie ein „aus dem Schatten der älteren Schwester treten“. Rückblickend haben beide Zwillingsschwestern eine wahnsinnig tolle Entwicklung gemacht:

Vom Frühchen zum Vorschulkind in 5 Jahren

Näheres zu unserem Kindergarten, habe ich euch übrigens in diesem Bericht schon einmal aufgeschrieben. integrativer Kindergarten? Ja oder Nein?

der jüngere Zwilling sein
der jüngere Zwilling sein

Auch jetzt schlägt wieder durch, dass ein Zwilling älter und etwas „reifer“ in der körperlichen Entwicklung ist. Sie hatte den ersten Wackelzahn und auch den ersten bleibenden Backenzahn. Aber ihre Schwester hat für sich einen Weg gefunden und kommentiert jetzt ganz stolz mit „meine Schwester hat schon einen Wackelzahn!“

3 Monate später, ist jetzt auch bei ihr der erste Wackelzahn da. Bei ihrer Schwester ist es nun schon der zweite aber das stört sie jetzt gar nicht mehr. Sie weiß, dass bald die Zahnfee kommt, weil sie es bei ihrer Schwester gesehen hat und freut sich schon total darauf. Ihre Wut darüber, dass bei ihr die Dinge immer etwas später passieren hat sie in Vorfreude umgewandelt.

Wahnsinn, was da alles in knapp 3 Jahren passiert ist. Damals hätte ich nie gedacht, dass wir sie dieses Jahr tatsächlich schon in die Schule geben würden. Aber ja, unsere damals 42 cm großen und 2 kg schweren Frühchen werden als „Kann-Kinder“ dieses Jahr in die Schule gehen. Dazu werde ich euch sicher bald noch viel mehr berichten können und ich hoffe, ich kann auch da dann wieder ein Resümee ziehen, dass auch das die richtige Entscheidung war. Übrigens kommen beide in die gleiche Klasse. Dazu wird es sicher auch noch spannende Berichte geben, wie sich dann beide parallel entwickeln. Das bleibt für mich auch noch ganz spannend und ich hoffe, es wird nicht wieder ein Rückschritt in die „meine-große-Schwester-kann-Alles-besser“ Richtung geben. Aber ich habe ein gutes Gefühl und ich weiß, dass meine „Kleine“ sich toll zu einem ganz eigenständigen Charakter entwickelt hat und auch selbst sieht, dass sie gewisse Dinge besser kann als ihre Schwester und andersrum eben auch. Ganz so wie bei normalen Geschwistern eben auch, die einen größeren Altersabstand als nur 1 Minute haben.

Wie ist das bei Euch? Habt ihr auch diese Erfahrungen mit jüngeren Kindern gemacht?

Ich bin gespannt, was ihr noch für Tipps für mich habt.

Eure Zwillingsmama Michi

12 Kommentare

  1. Hallo liebe Michi!
    Ein interessantes Thema, das mir gerade auch oft durch den Kopf geht. Wir erwarten (hoffentlich erst) im Juni unsere Zwillinge und ich mach mir schon Gedanken wie wir damit umgehen sollen. Ob wir den Erstgebohrenen-Stempel irgendwie vermeiden sollen / können / müssen? Das lustige bei uns ist ja, dass der führende Zwilling der wohl als erstes geboren wird, der kleinere ist. War schon beim Embryo Transfer der kleinere und jetzt auch immer leichter als das Geschwisterchen. Älter wird bei uns also nicht auch größer sein. Sowieso wäre der 2. Zwillling älter weil schon länger in mir eingenistet :D
    Liebe Grüße!

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  2. Huhu Michi,

    lieben Dank für diesen tollen Bericht.
    Beim Lesen habe ich nur all zu oft gedacht, oh ja, das kenne ich…
    Ich bin wirklich gespannt, wie es im Laufe der Jahre sich alles so weiter entwickeln wird :-)

    Liebe Grüße

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  3. wir haben 4 Girls, davon sind die letzten zwei Zwillinge. Ich denke es ist enorm wichtig dass jedes Kind seine eigene Stellung hat. Wir haben einen älteren Zwilling (das 3. Kind) und einen grösseren Zwilling (das 4. Kind). Die mittlere (also das 2. Kind) hat im Moment echt Mühe, da die grosse Schwester einfach alles gut kann. Wir versuche allen einen eigenen Wert zu geben, Sachen zu suchen die sie speziell macht. Eine malt gut, die mittlere ist super organisiert, auch die eineiigen Zwillingsschwestern haben Wesensunterschiede – etwas sehr schönes! Feiert das unterschiedliche, ich denke das hilft unseren Kids langfristig viel mehr als sie gleich machen zu wollen.

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  4. Hallo, ich bin immer sehr interessiert an Artikeln über Zwillinge, aber nicht weil ich selbst eine Zwillingsmama bin, sondern selbst ein Zwilling und zwar ein eineiiger und bei der Geburt die zweitgeborene…alles ganz natürlich ohne KS…ich kam übrigens mit Beckenendlage zur Welt…wie dem auch sein…liebe Zillingsmütter ich habe eine Bitte an euch…bitte zieht eure Kinder nicht gleich an, habt nicht die gleichen Erwartungen an sie und überhaupt, erkennt die Einmaligkeit jedes einzelenen (auch bei Mehrlinge)…ich als Zwilling habe es gehasst ständig verglichen zu werden…erspart das bitte euren Kindern!

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    • Hallo Sylvie und danke für deinen Kommentar. Ich ziehe meine Zwillinge zb immer gern unterschiedlich an obwohl wir vieles auch doppelt haben. Aber die beiden wollen seit 2 Jahren oft genau dasselbe anziehen und wenn dann mal was in der Wäsche ist, ist das ein Drama. In meinem Bericht ging es ja genau darum, dass leider das Kind selber sich immer vergleicht und überhaupt gar nicht wir. Ich finde es ganz toll, dass beide Mädels 2 ganz verschiedene Persönlichkeiten sind und daher waren sie ja auch in 2 Kindergartengruppen. Aber trotzdem muss ich damit umgehen, dass sie sich selber vergleichen oder vom Umfeld verglichen werden. lg Michi

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  5. Hallo Michi,

    beim Lesen dachte ich dir ganze Zeit: ja genau so fühlt man sich!
    Ich selbst bin 4 Minuten jünger als meine Schwester und das Vergleichen und Verglichen werden zog sich bis wir 18 wurden so durch unser Leben. Sie war die Größere, die Vernünftigere und die Ruhigere. Das ist sie alles immer noch, allerdings können wir jetzt meist gut damit umgehen. Und auch diesen Beschützerinstinkt hat sie immer noch.
    Im Nachhinein wäre es gut gewesen in verschiedenen Klassen zu sein. Aber damals war das noch nicht so.
    Gerade in der Pubertät war es schwierig, immer verglichen zu werden und sich parallel selbst zu finden – aber auch das haben wir geschafft.
    Inzwischen sind wir fast 30 und beide schwanger – sie ist natürlich die Erste, aber auch das ist okay für mich.
    Denn auch das „die Große“ sein ist laut meiner Schwester nicht immer leicht.
    Egal wie schwer oder leicht es als Zwilling ist – wir sind uns so nah, dass ich es mir anders niemals vorstellen kann.
    Liebe Grüße,
    Maren

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    • Hallo Maren, vielen lieben Dank für deinen so offenen und ehrlichen Kommentar. Ich verstehe dich sehr gut und lustigerweise ist unsere „Ältere“ auch tatsächlich die Ruhigere und Vernünftigere. Schon immer. Ja ich weiß auch, dass es für sie nicht immer leicht ist, dass wir von ihr automatisch ein anderes Verhalten erwarten, weil sie eben immer so ist, wie sie ist. Ich habe sie schon immer gebeten sich selbst anzuziehen, weil sie es gerne macht und ihre Schwester eben nicht, Heute hat sie auch wieder allein aufgeräumt….Es ist ein ganz besonderes Band zwischen Zwillingen und bei all den Streitigkeiten, Zickereien und Vergleichen wird es immer etwas so Besonderes sein, was niemand sonst verstehen kann. Wie toll, dass ihr beide schwanger seid. Dann könnt ihr auch dieses tolle Erlebnis miteinander teilen und eure Kinder dann ebenso. Ich wünsche Euch beiden dafür alles Liebe und Gute. lg Michi

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  6. Sehr spannend zu das lesen. Meine Jungs sind erst 17 Monate alt, da ist ihnen der 2-Minuten-Unterschied noch absolut nicht bewusst, ich als Mama habe mich aber schon häufiger gefragt, ob das später in irgend einer Weise bedeutsam für sie wird.
    Bei uns war der „Erste“ übrigens der kleinere und deutlich leichtere, der „kleine“ Bruder war 2 cm größer und etwa 450g schwerer (sie sahen am Anfang gar nicht eineiig aus).
    Dass einer vom Temperament eher ruhig und besonnen ist kann ich hier absolut nicht sehen. Beide sind absolute kleine Wirbelwinde, Klettermeister (momentan ist die Fensterbank ja soooo spannend…), Engergiebolzen. Sie haben sich von Anfang an scheinbar gegenseitig mit der Entwicklung überholen wollen. Das führte dann dazu, dass der erste, ein paar Tage bevor er 7 Monate alt wurde, plötzlich an unserer Truhe stand. Der Bruder konnte das dann zwei Tage später.
    Die jungen Herren kennen beim Klettern und Toben scheinbar keine Furcht und Vorsicht und scheinen sich nach wie vor auch gegenseitig „anzustacheln“, so nach dem Lotto „Oh, der kann das, da probier ich das auch mal aus!“.
    Ich bin echt gespannt ab wann es deutliche Temperaments- und Verhaltensunterschiede zwischen beiden geben wird. Nicht um diese dann zu vergleichen, sondern um Punkte zu haben die Individualität zu fördern.

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